Tsuishi Ringo

Eine gute Seele. Eine wirklich gute Seele, bestückt mit einem Herzen aus purem Gold und einem Willen, der Berge versetzen kann. Das Letzteres nicht immer so war, kann Ringo heute nicht mehr beurteilen. Genauso wenig, ob Teruo tatsächlich sein älterer Bruder ist oder nicht. Seit er aus dem Koma erwachte, vertraut er schlicht und ergreifend auf dessen Wort. Vertraut dem jungen, blonden Mann allgemein. Fühlt sich mit ihm verbunden und kann keinen Hauch von Unwahrheiten an ihm finden. Eher ein Gefühl der Geborgenheit, aufgehoben und umsorgt zu sein. Eine wohlige Wärme, welche seine innere Leere zu füllen vermag und das jeden Tag ein wenig mehr. Doch selbst wenn Teruo, oder auch Nii-san, wie er ihn nennt, eine derart liebevolle und anständige Ausstrahlung besitzt, so kann diese auch gewaltig umschlagen. Ist Not am Manne, so verwandelt sich der Engel in einen wahren Racheengel, welcher so viel Blut vergießt wie nötig ist, um zu schützen, was ihm etwas bedeutet. Urplötzlich hat man jemanden vor sich, der ohne Weiteres dazu bereit ist, über Leichen zu gehen. Der sich selbst und seine Reinheit aufopfert und das ganz ohne eine Gegenleistung zu erwarten. Obwohl der beinahe unscheinbare Bursche doch durch einen hohen Intellekt verfügt und man von dieser Sorte Menschen doch behauptet, sie wären zu klug um etwas uneigennütziges zu tun. Obgleich Ringo nicht immer recht weiß, wie er die Facetten seines älteren Bruders aufnehmen und mit diesen umgehen soll, hängt er seit seinem Erwachen sehr an ihm und verwendet was ihm noch geblieben ist, um ihm in jedem erdenklichen Fall beizustehen und ihn zu schützen. Das Ringo damit seiner vergangenen Persönlichkeit wieder gleichkommt, kann er nicht wissen. Lediglich erscheint es ihm als absolut wichtig, dies für den Älteren zu tun.

Seit seinem Erwachen lernte Ringo neben seinem Bruder eine weitere Person kennen: Ichiji Chiasa. Soweit er bereits in Erfahrung bringen konnte, frönt sie einer besonderen Glaubensrichtung, lässt sich wegen dieser aber keineswegs davon abbringen, im Genuss zu leben. Demnach lässt sie also selten etwas anbrennen und schon gar nichts gefallen. Selbst wenn sie oft eher ausgeglichen erscheint, kann sie in ihrer Wut furchtbar toben und einem glauben machen, wegen ihres Zornes hätten sich sämtliche Höllenpforten geöffnet. Bisher war Ringo, zu seinem Glück, noch nicht der Auslöser ihres Unmuts und würde dies auch sehr gerne so belassen. Selbst wenn Chiasa nämlich um einige Jahre älter sein sollte als sein Bruder und er, kommt er recht gut mit ihr aus und ist ihr auch dankbar dafür, dass sie Teruo und auch ihm zur Hilfe gekommen war. Zudem befindet er es als sympatisch an ihr, dass ihr Horizont nicht derart beschränkt ist wie der vieler anderer und sie den Verstand auch nutzt, welchen sie in ihrem Kopf mit sich trägt.

Wie jeder andere Mensch auch, so besitzt der junge Kenjutsuka Eltern, welche in der Heimat harren und voller Zuversicht hoffen, dass ihren Söhnen kein Leid widerfährt. Das dem so ist, weiß Ringo von Erzählungen seines Bruders, mehr aber auch nicht. Hätte er kein in Mitleidenschaft gezogenes Foto gesehen, so könne er sich überhaupt keinen Reim auf diese beiden Personen machen. Weder ein Aussehen käme ihm in den Sinn, noch Eigenschaften, welche sie ausmachen. Nichts. Schlicht Berichte sind es, die ihn wissen lassen, dass die Eltern stets eine herzliche und ungezwungene Erziehung zu befolgen pflegten. Ihre beiden Söhne förderten und unterstützten und versuchten, ihnen all ihre Wünsche zu ermöglichen. Das er, Ringo, den Eltern sogar das Versprechen abnehmen musste, auf seinen damals noch "schwächeren" älteren Bruder Teruo Acht zu geben und er schrecklich mit der Mutter diskutiert hatte, als es überhaupt um Teruos Shinobi-Ausbildung gegangen war. Das er gerne mit dem Vater trainiert hatte, um seine Fähigkeiten stets zu testen und zu steigern. Das man zusammen gehalten hatte. Jedesmal, wenn er Geschichten dieser Art hört, wird ihm recht seltsam und flau zumute. Was wohl daran liegt, dass er sich selbst kaum wieder erkennen kann und dazu neigt, sein vergangenes Selbst und sein Jetziges in zwei verschiedene Personen zu trennen. Ergo kommt es ihm manchmal vor, als sei er der Abklatsch eines Menschen, dem viel Bedeutung zugemessen worden war.

Kato, die Nummer Acht der Organisation, Ringos Betreuer seit seinem, wenn auch erzwungenem, Eintritt und eine Person, an welche er sich ebenso unbedingt erinnern wollen würde. Weil er noch viel mehr war, als ein schlichter Aufpasser. Er war ein Freund gewesen. Einer, den man in diesem Ausmaß nur einmal im Leben trifft. Einer, der einen von Anfang an mag und akzeptiert, wie man ist. Der zu einem hält, einem das Lachen wieder lehrt und des Zusammensarbeitens und -seins nie überdrüssig wird. Wie oft haben beide gemeinsame Aufträge erledigt, es sich danach gemütlich gemacht oder sich mit Späßen amüsiert? Wie brüderlich waren sie miteinander umgegangen, hatten so vieles geteilt und sich gegenseitig wieder aufgebaut und vervollkommnet? Leider ist sich Ringo dessen nicht mehr sicher. Weiß lediglich von Teruo, dass Kato die Organisation auch seinetwegen hintergangen hatte. Das er damals all seine Sachen behalten hatte, verbotenerweise natürlich, um Teruo aufzuspüren und mit diesem einen Coup zu planen. Ein Coup, bei dem er sein eigenes Leben gab, um das der beiden Brüder zu retten. Oft fragt sich der Blondschopf, wer genau dieser Mann nur war und was ihn dazu veranlasste, dieses Opfer zu bringen. Genauso wie er sich fragt, wie es um sein Gewissen stünde, wenn er all diese Episoden in seinem Gedächtnis wieder hervorrufen könnte.

Yasushi, sein Sensei auf Reisen und Akira, die seines Bruders. Ein Kundschaftergespann, welches zunächst so viel Stärke aufwies, dass die Eltern der Brüder ihnen zutrauten, auf ihre Schätze Acht zu geben. Für's Erste war dem auch so. Das Augenmerk der beiden galt den Blondschöpfen und der Informationssammlung, schnell entwickelten sie sich zu einer Art Angehöriger. Bis zu der Nacht, an dem dieser beißende Hauch von Schicksal Ringo, oder damals noch Michio, besonders wach gehalten hatte. Ein Geruch, als verbrenne man Zimt. Ein Geruch, der dem Jungen im Gedächtnis blieb, auch wenn alles andere verschwand. Alles andere was ihn wissen lassen würde, dass die Truppe tief in der Nacht im Schutz des Nebelwaldes überfallen wurden war. Das Yasushi und er gekämpft hatten wie die Löwen, nur um schleunigst an Teruos und Akiras Seite zu eilen. Doch vergebens. Kaltblütig wurde Yasushi niedergestreckt, seine Schwester Akira ebenso und allem Anschein nach auch Teruo. Michio, verzweifelt von all diesen Bildern, war keine Bedrohung mehr gewesen und es hatte sich nicht als schwierig herausgestellt, ihn mit sich zu nehmen. Man könnte es momentan noch als absoluten Segen bezeichnen, dass Teruo niemals über diese Begebenheit sprechen mag. Wer weiß schon, was Details in Ringo auslösen könnten.

Als Ringo und dessen Bruder noch die Schwertkampfschule besuchten, welche ihr beider Vater mit einem Partner leitete, machten sie natürlich auch Bekanntschaft mit dem Sohn dieses Partners. Sicherlich fehlt dem Blondschopf auch in diesem Falle jegliche Erinnerung, doch darf nicht verleugnet werden, dass Kitoku Ren doch ein wenig zu seiner Entwicklung als Kenjutsuka beitrug. Weniger brachte der ständig grinsende Kerl ihm etwas bei, eher diente er ihm als eine Art Hürde. Eine Hürde, welche der Jüngere zu überwinden gedachte und beinahe täglich um einen Kampf bat. Doch nicht nur kleine Kämpfe verbanden ihn mit Ren. Bei jedem Treffen empfand Ringo es als selbstverständlich dem Älteren zu danken, dass dieser sich ab und an seinem Bruder annahm und ihm in Dingen half, mit welchen er selbst nicht dienen konnte. Immerhin hatte man Ringo nie belächelt oder ausgegrenzt. Nie schikaniert. Eher hatte man ihn bejubelt oder sich gar nicht erst getraut, ihn zu provozieren. So empfand er es also nur als zu gut, dass Ren, welcher ein ähnliches Schicksal wie Teruo teilte, diesem immer wieder ein wenig mehr auf die Beine half. Könnte sich Ringo an diesen Mann erinnern, so wäre er ihm wohl noch heute für seine Taten dankbar.